Es ist Sommer. Auch wenn das der Blick aus dem Bürofenster hinaus in den tristen norddeutschen Wolkenhimmel möglicherweise anders vermuten lässt. Es ist ein Sommer, in welchem von „nicht notwendigen touristischen Reisen“ abgeraten, die Schönheit unserer Heimat in zahlreichen Naturdokumentationen des öffentlich rechtlichen Rundfunks immer wieder beleuchtet wird und die deutschen Küsten rekordverdächtige Zahlen nationaler Touristen begrüßen. Es ist ein Sommer, wie kaum ein anderer. Und wem bei allem Urlaub auf Balkonien (außer in Norddeutschland, denn hier ist das Wetter, wie eingangs erwähnt, ähnlich trist wie zuletzt der deutsche Aktienindex) die Decke auf den Kopf fällt, für den gibt es hier ein Résumé der Leinwandhits 2020. Besser als Ferienlektüre, versprochen.
Es folgen: Die Blockbuster des Sommer, hier ist Nervenkitzel, Kopfschütteln und das eine oder andere verschmitzte Grinsen garantiert.
Titel: The Wolf of White Haus oder T – ein Land sucht einen Präsidenten
Genre: Action mit einer Brise Western und schwarzem Humor
Hauptdarsteller: Startbesetzung garantiert. Hochbezahlte und prominente Darsteller. Oder kurz: Trump vs. tja… the rest of the world?
In einem Satz: “And then I see the disinfectant, where it knocks it [the virus] out in one minute. And is there a way we can do something like that, by injection inside […]?[…] it sounds interesting to me.” (Trump, 24. April 2020).
Plot: Es ist die Geschichte eines Präsidenten, dessen Amtszeit von Twitter-Pannen, PR-Pannen und nur nun auch der größten von allen, der Pandemie-Panne, geprägt ist. Ein Präsident, dessen Wahl im Spätherbst 2016 insbesondere in Europa für Überraschung, bei europäischen Staatsoberhäuptern für die Frage sorgte, wie man mit einem Milliardär umging, über welchen bereits vor Beginn seiner politischen Karriere gesagt wurde, er handle scheinbar unberechenbar, sei in erster Linie sich selbst der Nächste und gebe nicht allzu viel auf die Meinung seiner Berater. Um es diplomatisch auszudrücken. Letztere schienen gleichzeitig allerdings auch unentbehrlich zu sein, hatte Trump in der Vergangenheit den Fokus eher auf seinen unternehmerischen Profit als das Wohlsein der amerikanischen Bevölkerung gelegt. Das sollte nun aber natürlich alles anders werden. „Make America great again“ sorgte bei einem offensichtlich ausreichend großen Teil für Begeisterung und Unterstützung. Versprechen gehalten? Wohl kaum.
Die Spannungskurve in diesem Film steigt proportional zu jener, die die Neuansteckungen mit dem Corona-Virus im Land visualisiert. Für die Amerikaner, denen Trump die Rückgewinnung von Arbeitsplätzen, nationale Stabilität und Sicherheit und eine florierende Wirtschaft versprochen hatte, entpuppte sich sein Wahlversprechen als Seifenblase, die ein unsichtbares Virus (an dieser Stelle die waghalsige These, es sei möglicherweise nicht alleine das Virus gewesen…) zum Platzen brachte. Es ist der metaphorische, glasierte Berliner, der am Faschingstag voller Hoffnung und mit großem Appetit von den Wählern ergriffen wurde, um nach einem Bissen festzustellen, dass sie jenen mit Senffüllung erwischt hatten.
Spoiler-Warnung: Oben benannte Versprechen wurden nicht eingelöst. Stattdessen verzeichnen die USA rekordverdächtigte Arbeitslosenquoten (Knappe 15% im April; hingegen aller Befürchtungen ging die Zahl in den Folgemonaten allerdings in Folge politischer Lockerungen wieder zurück und liegt aktuell bei guten 11%), nahezu autoritäres Eingreifen in das eigentlich föderal organisierte Staatssystem und eine zerklüftete Gesellschaftsstruktur, deren Spaltung weit über politische Orientierungen hinausgeht.
Wie es weitergeht? Sehen Sie selbst.
Plot twist: Möglicherweise der Wahlkampf im November diesen Jahres, der bereits für scheinbar bipolare Charakterzüge („Well, I think we are in a good place“ vs. „It will unfortunately get worse before it gets better“) des amtierenden Präsidenten sorgt. Sein Konkurrent, Joe Biden, behauptet nun, Trump habe sein Land und seine Bürger aufgegeben, die weiße Flagge gehisst und erkennen müssen, dass es nun zu spät sei. Der Präsident hingegen gibt sich seit neustem als people’s man, trägt Maske (vorher unnötig und überbewertet, nun „patriotisch“) und ruft zum Schutz der Schwächsten der Gesellschaft auf.
Cowboys gegen Indianer oder Demokraten gegen Republikaner. Ist ja irgendwie auch das gleiche.
3 Gründe, warum dies ein Must-Watch ist
1. Neuordnung der Machtverhältnisse: Im Vergleich zum US-Dollar (und aktuell vielen anderen Währungen) ist der Euro klar im Vorteil. Vergangene Woche erreichte er seinen Höchststand seit Pre-Corona-Zeiten im September letzten Jahres und erhielt durch das vom Europäischen Rat beschlossene Finanzpaket deutlich Auftrieb. Krise in Europa, zumindest zeitweise, abgewendet. In den USA? Naja. Und was heißt das? Zunächst dass wir, würden wir aktuell in die Vereinigten Staaten reisen, von Wechselkursen zu unseren Gunsten profitieren würden. Kleiner Haken: Einreisen sind aktuell nicht möglich, von dem Sinn einer solchen mal ganz abgesehen. Nichtsdestotrotz profitiert Europa wirtschaftlich von einem angeschlagenen Gegenspieler, gleichzeitig gewährt ein erstarkter Euro der EU auch Verhandlungsmacht gegenüber den USA, die bei ihrer aktuellen Führungsriege gut zu gebrauchen ist.
2. Profitieren als Privatanleger: Nicht nur politisch, sondern auch wirtschaftlich sind die USA am kränkeln, manche Branchen stärker als andere. Der Ölpreis beispielsweise brach im April erdrutschartig ein, lag schließlich die Wirtschaft in einem der größten Abnehmerländer (China) lahm und drohte anderorts (der Rest der Welt) bald einem ähnlichen Stillstand zu unterliegen. Der Aktienpreis von Exxon Mobile, größtem Mineralölkonzern der Vereinigte Staaten, rutsche ebenfalls in Erdöl-Loch, Anleger verkauften mit Verlusten, andere kauften zu (historisch) günstigen Konditionen und fuhren so hohe Gewinne ein. Gemischte Gefühle, war schließlich nicht abzusehen, wie rasch die Erholung verlaufen würde. Ähnlichen Entwicklungen unterlagen auch andere Sektoren; der Dow Jones hingegen verhielt sich ähnlich unvorhersehbar wie der Präsident des Landes, verzeichnete im Februar den jemals dagewesenen größten Verlust in Punkten, um im März sein historisches Hoch seit 87 Jahren zu erklimmen. Richtig einsteigen, fest anschnallen – und dann kann die Achterbahn für den einen oder anderen steil nach oben führen.
3. Neuordnung der Machtverhältnisse II: Die Wahl im November (von der Trump am Donnerstag verkündete, er spiele mit dem Gedanken, sie zu verschieben – geht nur leider nicht so einfach) könnte für die USA nicht nur eine Neuordnung nationaler Machtverhältnisse, sondern auch tiefergehende Strukturänderungen mit sich bringen. Zuletzt drifteten die Zahlen der Zustimmung und Ablehnung seiner Arbeit und Eignung als Krisenmanager immer weiter auseinander, um schließlich bei 57% Ablehnung und nur knappen 40% Zufriedenheit zu landen. Autsch. Biden drückt ferner auch noch da, wo es wehtut, verspricht neue Jobs zu schaffen (Trump war an dieser Aufgabe, wie jüngste Zahlen beweisen, kläglich gescheitert), in die Forschung zu investieren (perfektes Timing) und Arbeiterfamilien zu unterstützen, die von der Pandemie verstärkt betroffen sind. Gleichzeitig malte er das pastellfarbene Luftschloss eines Konjunkturpakets in historischer Höhe, staatliche Investitionen, so hoch, wie seit dem zweiten Weltkrieg nicht mehr. Von einer quietschfidelen Wirtschaft profitieren schlussendlich nicht nur die USA, sondern auch Europa. Im Auge behalten lohnt sich also.
Und wem das ganze etwas zu weit weg, zu wenig greifbar oder langsam etwas zu skurril wird, für den gibt es noch eine spannende Politkomödie, die (fast) direkt vor unserer eigenen Haustür spielt. Es geht um das langsam als Duell erscheinende Nord gegen Süd, Churros gegen Chips, Calamares gegen Cream Tea oder einfach – wie eigentlich schon immer – Großbritannien gegen den Rest von Europa.
Titel: Sein Name ist Jonson, Boris Johnson.
Genre: Schwer zu definieren, irgendwie etwas von allem. Es begann als Komödie, rutsche ins Drama um nun bei einem Kräftemessen zu enden, was auf dem sonnengebräunten Rücken der Urlauber ausgetragen wird.
Hauptdarsteller: Ein zunächst furchtloser Premierminister, der meinte, Vorsichtsmaßnahmen seien im eigenen Land nicht notwendig, um dann festzustellen, dass diese Aussage möglicherweise revidiert werden müsse.
In einem Satz: „I shook hands with everybody.” (Johnson, 27. März 2020)
Plot: Eigentlich schien alles auf dem Weg der Besserung: Großbritannien, das im europäischen Raum von der Pandemie meist betroffene Land, hatte sich nach dem unvorhergesehene Schock langsam erholt, sich vorsichtig an Öffnungen ran getastet, zunächst zweiwöchige Quarantänepflichten für Einreisende verhängt, um dann im Juli schließlich einen sogenannten „travel corridor“ zu den meisten Ländern der EU einzurichten. Einreisen waren nun auch ohne 14-tägige Schonfrist in den eigenen vier Wänden möglich und die Briten wagten sich wieder in Flugzeuge, um ihren wohlverdienten Sommerurlaub anzutreten. Spanien und Italien, Lieblingsziele der Inselbewohner, hatten ihre Grenzen wieder für den internationalen Tourismus geöffnet, Sommer lag in der Luft, alles schien gut. Doch der Schein trügte: Lokale Infektionsherde in Spanien begannen wieder aufzuflammen, einzelne Provinzen wurde isoliert, um die Fallzahlen und die Ausbreitung des Virus so gut wie möglich einzudämmen. Gleichzeitig setzte Großbritannien zu einem Schachzug an, der seine eigenen Bürger genau unverhofft traf, wie den Rest der Welt, und gehörig Staub aufwirbelte. Scheinbar über Nacht verhängte die Regierung erneut eine Quarantänepflicht für Spanien-Rückkehrer, ungeachtet in welcher Region des Landes sie ihren Urlaub verbracht hatten. Spanien protestierte, verkündete, man sei nun in Verhandlungen mit London, die Kanaren und Balearen, die von den steigenden Fallzahlen auf dem Festland nicht betroffen seien, von dieser Regelung auszunehmen. Die Inseln sind, noch stärker als die iberische Halbinsel, vom Tourismus abhängig, Briten machen über ein Viertel der jährlichen Besucher aus. Eine auf das ganze Land ausgeweitete Einreisebeschränkung könnte nun der Dolchstoß für die ohnehin schon lahmende spanische Konjunktur sein. Mit ihrem öffentlichen Statement über Diskussionen mit dem Königreich erhöhte nun die Regierung den Druck auf London, drängt dieses in die Ecke.
Möglicherweise geht es jedoch um mehr, als nur sonnige Strandurlaube: Das Verhältnis zwischen beiden Ländern ist ohnehin etwas angeschlagen, kommt es schließlich regelmäßig zu Konfrontationen in der Meerenge vor der spanischen Südspitze. Gibraltar, britische Kronkolonie, ist immer wieder Zankapfel zwischen beiden Staaten; es geht um den Verstoß gegen das Seerecht, den Anspruch auf Fischereigebiet und enge Wirtschaftsbeziehungen Gibraltars zu Spanien, die möglicherweise nun unter dem Brexit leiden.
Plot twist: … wurde spätestens in dem Moment erwartet, als bekannt wurde, Boris Johnson sei selbst mit dem Coronavirus infiziert und befinde sich in ärztlicher Aufsicht. Es schien ironisch repräsentativ für eine Politik, die auf Herdenimmunität statt kontrollierte flatten-the-curve-Maßnahmen setzte und sich somit den Spott vom europäischen Festland einholte. Aber plot twist am plot twist: es war gar kein richtiger plot twist. Der eigentliche könnte nun folgen und sich aus den angeschlagenen Beziehungen zum europäischen Festland ergeben.
3 Gründe, warum dies ein Must-Watch ist:
1. Spanische Sonne adé?: Dem britischen Beispiel folgend, hat nun auch das Auswärtige Amt Reisehinweise für Spanien ausgesprochen, beschränkt sich hierbei allerdings auf die Pandemie-Hostspots auf dem Festland. Ob der Sommerurlaub im sonnigen Süden auf der Kippe steht, hängt von der Entwicklung der Fallzahlen ab, die zuletzt allerdings rasant verlief.
2. Very British: Sollte sich Großbritannien bei den Verhandlungen mit der spanischen Regierung allerdings nicht kompromissbereit geben, so könnte dies Folgen für seine Verhandlungsposition mit Europa haben. Zuletzt hatte die Europäische Kommission verkündet, man bleibe standhaft gegenüber britischen Forderungen im Kontext der Brexit-Verhandlungen, in Zukunft könnte sich diese Position, sollte Großbritannien sich intensiviert vom europäischen Festland distanzieren, noch verfestigen. Dies hätte wiederum wirtschaftliche Folgen, beiderseits. Debatten über Zölle, Freihandelsabkommen und Co. könnten auf diese Weise eine neue Richtung einschlagen, sollte Europa ihrem Gegenspieler noch geeinter und dickköpfiger gegenübertreten.
3. No-Power-Pound: Ähnlich wie auch mit dem US-Dollar, verhält sich das Verhältnis zwischen Euro und Britischen Pfund. Letzterer hatte während der Brexit-Verhandlungen immer wieder geschwächelt, ist jetzt immer noch vergleichsweise schwach. Für den Euro-Raum bedeutet dies günstige Wechselkurse, für die Briten würde der beliebte Spanienurlaub teurer. Aber an diesen ist ja aktuell sowieso nicht zu denken.
Es ist der Sommer der Verhandlungen, der Debatten, der unerwarteten twists and turns, der Sommer der Extreme und gleichzeitig der Sommer, in dem sich politische und wirtschaftliche Positionen, wollen sie der Pandemie etwas entgegensetzen, verfestigen und mit klaren Linien und spitzem Stift gezeichnet werden müssen. Es ist der Sommer, bei dem uns auf Balkonien bewusst wird, wie gut es uns in Deutschland geht und in welch günstiger Lage wir uns befinden, die internationalen Politthriller von außen beobachten zu dürfen. Gespannt und gleichzeitig entspannt. Abwarten und Tee trinken. Very british.
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