Beginnen wir mit einem Experiment: Schätzen Sie einmal den weltweiten Anteil der Länder, die der Führung durch ein weibliches Staatsoberhaupt unterliegen. Nicht rechnen, nicht recherchieren, einfach nur aus dem Bauch heraus raten.
Die Lösung: Gibt es später. Vermutlich werden wir Sie überraschen.
Anfang April warf so manches Online-Magazin die waghalsige These in den Raum, es bestehe möglicherweise ein Zusammenhang zwischen dem Geschlecht eines Staatsoberhauptes und seinem Krisenmanagement in einer Ausnahmesituation, wie es sie in der Vergangenheit kaum gegeben hatte. Die Spanische Grippe vielleicht, ja, diese könne man mit der aktuellen Corona-Pandemie vergleichen. Allerdings hinkt diese Parallele, und zwar nicht zu knapp: Als die Infektionskrankheit Anfang des 20. Jahrhunderts grassierte und weltweit fast 50 Millionen Menschen das Leben kostete, so war der Anteil jener Staaten, die eine Frau an ihrer Spitze verorteten, verschwindend gering. Unter 10%.
Doch Moment. Irgendetwas davon erscheint uns bekannt. 100 Jahre später. Denn aktuell werden lediglich 19 der 195 Staaten weiblich regiert, gute 9,7%, Deutschland ist einer von ihnen. Gleichzeitig ist Deutschland auch eines der Länder, die es trotz der überraschend heraneilenden Corona-Welle schaffte, die Todesrate vergleichsweise gering und die Infektionskurve flach zu halten. Das dies allerdings an der Führungsriege liege, wurde mehrheitlich verneint, da gäbe es noch viele andere Gründe.
Auch Neuseeland, Norwegen und Dänemark, alles Staaten mit einer Frau an ihrer Spitze, schafften es, das Infektionsgeschehen erfolgreich(er) einzudämmen, als ihre Nachbarländer. Auch hier erhoben sich Stimmen, die für eine Vielzahl von Faktoren als Ursache plädierten; Female Leadership sei kein Garant für Erfolg.
Vielleicht aber doch.
Um diese These jedoch zu untermauern, würde es eine statistisch einwandfreie Erhebung brauchen, die den Kritikern die Argumente und den männlichen Staatsoberhäuptern die Überheblichkeit nahm.
Und sie folgte.
Im Juli veröffentlichten zwei Forscherinnen von der University of Liverpool und der University of Reading ihre Ergebnisse zum Thema „Leading the Fight Against the Pandemic: Does Gender ‘Really’ Matter?“, unter dessen Titel sie unter Berücksichtigung diverser Indizes, Zahlen, Statistiken, Umfragen und Co. zu dem Ergebnis kamen, weibliche Führung sei möglicherweise doch ein Erfolgsfaktor, zumindest in gewissen oder doch eher ungewissen (Krisen-)Situationen. Gleichzeitig mussten sie die Allgemeingültigkeit ihrer Ergebnisse jedoch kritisch hinterfragen, war der Pool an Merkmalsträgern mit ausschließlich 19 von ihnen sehr gering und das Sieb aufgrund im Vorfeld definierter Faktoren (mangelnde Demokratisierung oder Ausschläge in den Fallzahlen im Untersuchungszeitraum) sehr feinmaschig. Bittere Ironie.
Doch trotz aller Startschwierigkeiten stand an Ende des Untersuchungszeitraums ein schlüssiges Argumentationspapier, welches, sich an statistischen Korrelationen entlanghangelnd, zu dem Schluss kommt, es brauche mehr weibliche Regierungschefinnen, um der Pandemie wirkungsvoll entgegenzutreten. In Zahlen bedeutete dies, female economies verzeichneten sechs Mal weniger Todesfälle als ihre Vergleichsnationen und schafften es, die berühmte Kurve vier Mal flacher zu halten. Der Ursprung dieser Beobachtungen lässt sich nach Meinung der Kalkulierenden in zwei zentrale Kategorien unterteilen; situative und strukturelle Ursachen.
Letztere befassen sich mit der Ausgangssituation, einer Welt vor Corona und Chaos. Hierbei wurde festgestellt, dass es sich bei den „weiblichen Staaten“ grundsätzlich um jene handle, die ihren Fokus politisch auf die Implementierung von (sozialer) Gleichheit statt das Gesetz des Stärkeren legten. Mehr Demut, weniger Darwin.
Gleichzeitig wurden die Frauen an der Spitze dieser Nationen demokratisch in ihr Amt gewählt; die Bevölkerung legt folglich ohnehin ein verstärktes Augenmerk auf eine von sozialen und ökologischen Fragestellungen geprägte politische Agenda. Zwischen jener politischer Haltung und den Todesfällen wurde mithilfe verschiedener Indizes eine Korrelation kalkuliert, die erneut einen Zusammenhang zwischen geschlechterspezifischer Ungleichheit und dem Infektionsgeschehen eines Landes offenbart: Staaten mit einem niedrigen Gender Inequality Index verzeichnen eine höhere Anzahl an weiblichen Abgeordneten und Frauen mit einem höheren Bildungsabschluss. Ganz offensichtlich, denn genau darüber gibt der Index ja Auskunft.
Doch gleichzeitig ist hier auch der weibliche Anteil am Arbeitsmarkt höher, das Wirtschaften allgemein nicht nur von der Perspektive eines einzigen Geschlechts dominiert. Mehr noch: Die Autorin identifizierten hier eine “gesündere und sozial gleichere Wirtschaft“, dessen Erfolg sich an langfristigem Wohlstand für einen möglichst großen Teil der Bevölkerung anstatt an kurzfristiger Wirtschaftsleistung misst. Gerechtigkeit statt Gender-Gap.
Ausschlaggebender noch als die vordefinierte Struktur eines Landes jedoch, schienen während der Pandemie die individuellen Reaktionen der Staaten zu sein; die situativen Antworten auf eine Frage, auf die, und so scheint es bis heute, es keine richtige Antwort gibt. Doch gibt es eine, die anmutet vielversprechender zu sein, als der Rest von ihnen: Die demütigere, risikoaversere und zurückhaltendere. Es war jene, die Jacinda Ardern den Neuseeländern, Mette Frederiksen den Dänen und Angela Merkel uns gab. Der Lockdown war früh, die Maßnahme tiefgreifend und die Akzeptanz in der Bevölkerung, vergleicht man sie mit anderen Staaten, aufgrund des Engagements der Führungsriege und kommunizierter Nähe zur Wählerschaft, relativ hoch. Statistisch spiegelte sich das Risikobewusstsein der Staatsoberhäupter in der Zahl der Todesfälle am ersten Tag des Lockdowns wider, die, mal wieder, vergleichsweise niedrig war und die Schlussfolgerung nahelegte, dass die Maßnahmen anderorts möglicherweise ein ganzes Stück zu spät kamen. Denn bedeutete eine Einschränkung des öffentlichen Lebens Schutz für die Bevölkerung von einer Infektionswelle, die sie unkontrolliert überrollen würde, so barg sie auch wirtschaftliche Risiken und einen tiefen Einschnitt in die ohnehin schon unter den unterbrochenen Lieferketten leidende Konjunktur. Aus der Sicht manch eines männlichen Regierungschefs nicht tolerierbar. Der Kreis schließt sich.
Es ist wieder mal einer dieser Beweise, der untermauert, dass das „starke Geschlecht“ nicht zwangsläufig dasjenige sein sollte, dass über die Zukunft eines Landes entscheidet, das beide Geschlechter beheimatet. Ein weiterer in einer Kette, auf die in den letzten Jahren die Perlen „Frauenquote“, „Elternzeit“ und weitere bunte Steinchen gefädelt wurden, die sich jedoch noch nicht so recht zu einem vollständigen Schmuckstück zusammensetzen wollen.
Doch zurück zu unserem Experiment vom Anfang und seinem düsteren Ergebnis: Als ich im vergangenen Monat für einige Tage die britische Insel erkundete, entstand auf dem Rückweg zum Flughafen ein spannendes Gespräch mit einem Taxifahrer. Wir hatten über die leere Innenstadt geplaudert, über den Schrecken der Pandemie, der den Briten durchs Mark gejagt war und noch immer in den Gliedern steckte. Das sonst so lebendige London wirkte beinahe gespenstisch, vom bunten Treiben war lediglich ein blasser Schleier zurückgeblieben. Mein Gesprächspartner wirkte verzweifelt, fragte mich, wie Deutschland es schaffe, stets einen kühlen Kopf zu bewahren und trotz diverser Krisen der letzten Jahre – die Finanzkrise 2008, die Flüchtlingskrise und nun Corona – „immer alles richtig zu machen“. „Was ist euer Geheimnis?“, fragte er mich und sah mich dabei ernst an.
Ich glaube, es liegt auf der Hand.
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