„…und dann habe ich meiner besten Freundin zum Dreißigsten noch Apple-Aktien geschenkt, wir sind ja jetzt erwachsen!“, kichert die blonde Ikone der deutschen Influencer-Szene in die Frontkamera ihres eigenen Handys. Stolz zeigt sie den Geburtstagtisch, auf dem zwischen Torte und Teetasse eine Bescheinigung über den Erwerb von Anteilen am Tech-Riesen thront.
Einige Kilometer weiter filmt sich eine Hamburger Social Media Persönlichkeit – mit Lesebrille und Notizblock bewaffnet – bei der Analyse ihres Portfolios. Im Zeitraffer versteht sich, das Ganze ist schließlich ein langwieriger Prozess. Ein pastellfarbenes Tortendiagramm offenbart ihre Vermögenallokation, ein nicht insignifikanter Teil ist in Bitcoin investiert. „Für mich bietet Bitcoin riesiges Potential“, lässt sie ihre Follower wissen. Sie habe Angst gehabt, den Zug zu verpassen, und sei deswegen mit aufgesprungen.
Die Passagiere dieses Zugs scheinen vorrangig Influencer und junge Internetpersönlichkeiten zu sein. Sie alle vereint die hohe Zahl an Followern und das für ihre Altersgruppe vergleichsweise hohe Einkommen, welches geschickt angelegt werden will. Das Thema Geldanlage ist längst nicht nur in der Mitte unserer Gesellschaft, sondern auch in ihrem jungen und risikoaffinen Teil angekommen.
Während die Finanzwelt nun also Influencer als reale und kundennahe Marketingfläche entdeckt, entdecken diese den Reiz des Investierens. Finanzielle Bildung scheint sexy zu sein, Aktien die neue Designerhandtasche. Wo früher Produktplatzierungen für Softdrinks und Proteinriegel positioniert waren, wird nun eine App für das unkomplizierte Investment beworben. Problem: Nicht jeder, der geschickt beworbene Getränke in Regenbogenfarben kauft, ist zwangsläufig auch interessant für aufstrebende FinTechs. Doch anstatt sich mit dem zeit- und ressourcenaufwendigen Prozess der Kundensegmentierung zu befassen, streuen ebendiese Anbieter breit in den Markt und erreichen auf diese Weise vergleichsweise schnell eine große Gruppe.
Die Strategie dahinter ist simpel: Nicht der Anbieter identifiziert die Relevanz des Angebots für den Kunden, sondern andersherum. Wer nicht über die Mittel zum Investieren verfügt, für den wird dieser Inhalt ohnehin in der großen Content-Blase der sozialen Medien untergehen. Gleichzeitig widmet fast jeder der Generation unter 40 seine Aufmerksamkeit mehrere Stunden am Tag seinem Social Media Feed und ist hier ansprechbar, wie kaum woanders.
Da sind zum einen junge Gründer mit jungen Ideen. Das Ansprechen einer Zielgruppe ist immer dann am einfachsten, wenn man selbst Teil von ihr ist. TikTok, Instagram und Co. sind für die Macher der älteren Generation teilweise (!) völlig fremde Kanäle, die entweder gar nicht oder ineffizient bespielt werden.
Zugleich sorgen Anbieter aus dem Ausland für regen Wettbewerb und bringen deutsche Unternehmen in Zugzwang.
Und dann ist da noch die aktuelle Corona-Pandemie, die die Welt, wie wir sie bisher kannten, gehörig auf den Kopf gestellt und Bedingungen im Markt schlagartig verändert hat.
Für die junge Generation limitierte COVID-19 ihre Ausgabeoptionen, da Reisen, Konzerte, Feiern und jegliche Form der Freizeitgestaltung außerhalb der eigenen vier Wände nicht mehr möglich waren. Gleichzeitig stieg auch der scheinbare Druck nach Selbstoptimierung, jetzt, wo man so viel mehr Zeit habe als in unserer schnelllebigen pre-Corona-Welt. Manch einer nahm sich in der ersten Welle vor eine neue Sprache zu lernen, täglich Yoga zu machen oder kiloweise Bananenbrot zu backen. Die sozialen Netzwerke zeigten Influencer beim Frühjahrputz, Ausmisten des Kleiderschranks, Aufsetzen der längst überfälligen Steuererklärung.
Die Kombination aus Zeit, Budget und Optimierungsdruck bildete einen fruchtigen Cocktail, den manche Anbieter gewinnbringend zu servieren wussten.
Insbesondere FinTechs, die schnell innovations- und anpassungsfähig sind, konnten etablierte Anbieter unter den neuen Bedingungen klug in die Ecke drängen: Ihre Angebote sind digital, selbsterklärend, flexibel und ansprechend gestaltet. Die Grenzen für zu tätigende Investments sind gering oder gar nicht vorhanden; die 5€, die ich durch die Schließung der Gastronomie nicht für einen hochpreisigen Flat White ausgab, habe ich vom Handy aus eben mal angelegt. Inspiriert hat mich dazu mein liebster Influencer, dem ich aufgrund meiner langjährigen Gefolgschaft ein hohes Vertrauen entgegenbringe.
Es ist nicht die große, fremde Bank, die mich für ihre Angebote begeistern möchte. Es sind Luisa, Julia und Felix von nebenan, Menschen wie Du und ich. Junge Menschen, mit ähnlichen Interessen und Sorgen und Plänen. Menschen, die das Thema Anlage und Investment so einfach, selbstverständlich, sympathisch und echt erscheinen lassen. Ein Teil des Alltags eben. Und Menschen, bei denen ich nicht das Gefühl habe, dass sie mir etwas „aufquatschen“ wollen, obwohl sie vielleicht gerade genau das tun.
Am Ball zu bleiben, in vielerlei Hinsicht. Er zeigt, dass der Weg zum langfristigen Erfolg auch darin besteht, bereits seit langem funktionierende Geschäftsmodelle zu überdenken und stetig zu optimieren. Dass die Bedingungen morgen bereits ganz andere sein können und Kunden Innovation verlangen. Wer diese nicht bietet, ist schnell raus, denn auch das Konzept der Kundentreue ist ein anderes als zu Zeiten, in denen die Kreissparkasse der Kelch der ewigen Finanz-Weisheit war.
Der emanzipierte Kunde bildet sich selbst weiter – was soll mein Berater schon wissen, was ich mit ein bisschen Zeit und einigen Suchanfragen nicht selbst herausfinden kann? Finanz-Know-How ist reizend und betörend, risikobehaftet und bedrohlich – letzteres für Anbieter, deren Geschäftsmodell auf das Monopol über ebendieses Wissen baut. Erfolgsversprechend ist folglich das Modell, was den Kunden zur eigenmächtigen und -verantwortlichen Verwaltung und Anlage befähigt. Wegbegleiter statt Wegweiser.
Gleichzeitig lernen Anbieter auch, dass das Marketing von morgen, auch das von heute, ein anderes ist als jenes von gestern. Es ist echt und nahbar, Marketing von nebenan. Wer sein Image aufbessern will, spielt mit offenen Karten statt mit dem Kleingedruckten; Real Talk, wie es in den sozialen Netzwerken immer wieder heißt.
Und wenn das Geschäftsmodell den Real Talk nicht verträgt – ist es dann nicht ohnehin mit einem Ablaufdatum versehen?
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